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Existenzsichernde Einkommen und Löhne
Mehr als 9 % der Menschheit, insgesamt mehr als 700 Millionen Menschen leben in extremer Armut, mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag. Das betrifft insbesondere Menschen, die in ländlichen Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas leben und in der Landwirtschaft arbeiten. Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind dabei Frauen: Sie erhalten durchschnittlich nur 82 % eines Dollars, den ein Mann verdient, bilden jedoch die Hauptarbeitskraft im Agrarsektor (Stand 2023). Die Einkommen und Löhne aus der Landwirtschaft sind meist so gering, dass viele Kleinbauernfamilien und Arbeiter*innen trotz ihrer harten Arbeit auf dem Feld weder in ihre Betriebe noch in Bildung oder eine gesunde Ernährung investieren können. Als Beispiel, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt mit Stand 2023, dass weltweit 664 Millionen arbeitende Frauen und Männer in Armut leben.
Ein wichtiger Mechanismus zur wirksamen Bekämpfung der extremen Armut besteht darin, die Zahlung von existenzsichernden Löhnen und Einkommen zu fördern. Höhere Löhne und Einkommen steigern zudem die Attraktivität des Landwirtschaftssektors für die junge Generation und sichern die zukünftige weltweite Rohstoffversorgung. Außerdem können Ansätze für Gender-Empowerment die Positionen der Frauen in den landwirtschaftlichen Betrieben stärken und somit langfristig zur Lückenschließung von existenzsichernden Einkommen und Löhnen beitragen.
Welche Aktivitäten die SASI im Bereich existenzsichernde Einkommen und Löhne umsetzt, erfahren Sie hier.
Sowohl das existenzsichernde Einkommen als auch der existenzsichernde Lohn basieren auf den Kosten für einen grundlegenden, aber angemessenen Lebensstandard von Arbeitnehmern und ihren Familien unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Gegebenheiten. Während sich der Begriff des existenzsichernden Einkommens auf Selbstständige, einschließlich Kleinbauern, konzentriert, bezieht sich das Konzept des existenzsichernden Lohns auf angestellte Arbeitnehmer, die einen Lohn erhalten, wie z.B. Arbeiter in lebensmittelverarbeitenden Unternehmen.
Ein existenzsicherndes Einkommen wird von der Living Income Community of Practice (LICoP) definiert als "das Nettoeinkommen einer Familie, das unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen verdient wird und ausreicht, um allen Mitgliedern des Haushalts einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen", während die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) den existenzsichernden Lohn definiert als "das Lohnniveau, das notwendig ist, um Arbeitnehmern und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen, wobei die Gegebenheiten des Landes berücksichtigt werden und das für die während der normalen Arbeitszeit geleistete Arbeit berechnet wird". Beide Konzepte berücksichtigen die Kosten für Nahrung, Wasser, Wohnung, Bildung, Gesundheit und andere lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen, wie Transport und Kleidung, und sollten Ersparnisse für unerwartete Ereignisse ermöglichen. Diese Konzepte gehen somit über die traditionellen Armutsgrenzen hinaus, indem sie einen angemessenen Lebensstandard und nicht nur das bloße Überleben als Mindestziel definieren.
Bei der Festlegung existenzsichernder Löhne und existenzsichernder Einkommen sollten insbesondere wirtschaftliche Faktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören u.a. makroökonomische Trends (z.B. das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung), die Beschäftigung (mit dem Ziel, eine hohe Beschäftigung zu gewährleisten, u.a. durch die Formalisierung der Beschäftigung) sowie die Fähigkeit von Unternehmen, höhere Löhne zu zahlen, und von Selbstständigen, höhere Einkommen zu erzielen (unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen). Damit eine Initiative für existenzsichernde Löhne und existenzsichernde Einkommen nachhaltig ist, sollten daher Maßnahmen der technischen Hilfe zur Verbesserung der wirtschaftlichen Faktoren konzipiert und umgesetzt werden.
Beide Konzepte sind eng miteinander verbunden, beziehen sich jedoch auf unterschiedlichen Personengruppen. Da die Ansätze zur Schließung der jeweiligen Lücken daher stark variieren können, werden die Konzepte voneinander getrennt behandelt.
Existenzsicherndes Einkommen (Living Income)
- Bezieht sich auf selbstständige Farmer*innen
- „Nettojahreseinkommen eines Haushalts, das unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen an einem bestimmten Ort verdient wird, […] und ausreicht, um allen Mitgliedern des Haushaltes einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.”
- Aspekte, die bei der Berechnung eines existenzsichernden Einkommens einbezogen werden, sind: Nahrung, Wasser, Wohnen, Bildung, Gesundheitsversorgung, Transport, Kleidung und andere wesentliche Bedürfnisse, einschließlich Vorkehrungen für unerwartete Ereignisse.
Existenzsichernder Lohn (Living Wage)
- Bezieht sich auf Entlohnungsarbeit
- Das Entgelt, das ein/e Arbeitnehmer*in für eine normale Arbeitswoche an einem bestimmten Ort erhält und das ausreicht, um dem/der Arbeitnehmer*in und seiner/ihrer Familie einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.
- Zu einem angemessenen Lebensstandard gehören Nahrung, Wasser, Wohnung, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Transport, Kleidung und andere wesentliche Bedürfnisse, einschließlich der Vorsorge für unerwartete Ereignisse.
- Existenzsichernde Einkommen und Löhne sind ein fundamentales Menschenrecht. Bereits Artikel 23 und 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 fordern:
„Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen“ (Artikel 23)
„Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl für sich selbst und die eigene Familie gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen […].“ (Artikel 25)
- Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betont die Verantwortung von Unternehmen, Menschenrechte im Rahmen ihrer Geschäftspraktiken zu achten. Im Gesetzesentwurf der Sorgfaltspflichtenrichtlinie auf EU-Ebene (CSDDD) werden existenzsichernde Löhne explizit aufgeführt. Zudem wird derzeit im Europäischen Parlament über die Aufnahme von existenzsichernden Einkommen in die Sorgfaltspflichtenrichtlinie diskutiert.
- Beide Konzepte leisten außerdem einen Beitrag zu den Nachhaltigskeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals = SDGs), darunter SDG 1 „keine Armit“, SDG 2 „kein Hunger“, SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“, SDG 10 „weniger Ungleichheiten“. Außerdem sind sie effektive Konzepte zur Bekämpfung von Kinderarbeit.
- Insbesondere für zukünftige Generationen von Landwirt*innen ist eine faire Entlohnung elementar, um die Attraktivität der Landwirtschaft als Beschäftigungssektor sicherzustellen. Ohne die Sicherung von existenzsichernden Einkommen und Löhnen für diejenigen, die unsere Rohstoffe produzieren, wird auf lange Sicht die Rohstoffversorgung der Weltbevölkerung nicht sichergestellt werden können.
Eine international anerkannte Methodologie zur Berechnung eines Richtwertes für Living Income und Living Wage, ist die Anker-Methodik. Basierend auf internationalen Normen und lokalen Standards werden die notwendigen Lebenshaltungskosten einer Familie für einen einfachen, menschenwürdigen Lebensstandard kalkuliert. Hierbei werden die durchschnittlichen lokalen Kosten für eine angemessene Ernährung, angemessenes Wohnen, andere Grundbedürfnisse wie Bildung und Kleidung sowie auch eine Marge für unvorhersehbare Ereignisse einberechnet.
Vergleicht man die errechnete Benchmark mit der tatsächlichen Einkommens- bzw. Lohnsituation, erhält man die zu schließende Einkommens- bzw. Lohnlücke. Die Living Income/Living Wage Benchmark und die entsprechende Lücke dienen Unternehmen, Regierungen und Zivilgesellschaft als Grundlage und Richtwert für die Entwicklung und Umsetzung von Interventionen, die das Einkommen bzw. den Lohn schrittweise anheben sollen.
Living Income: Eine Anleitung zur Berechnung bzw. zu Schätzung tatsächlicher Einkommen sowie eine Anleitung zur Berechnung der Einkommenslücke finden Sie hier. Allgemeine Fragen zur Berechnung von Einkommen und Einkommenslücken werden hier beantwortet. Eine Anwendung der Methoden zur Berechnung der Einkommenslücke für den Kakaosektor in Côte d’Ivoire finden Sie hier.
Living Wage: Ein international anerkanntes Tool zur Berechnung von tatsächlichen Löhnen ist die IDH Salary Matrix, die hier zu finden ist. Die Salary Matrix ist ein praktisches Hilfsmittel, mit dem bewertet werden kann, wie die Gesamtvergütung von Angestellten (einschließlich Löhne, Prämien, Geld- und Sachleistungen) im Vergleich zu den relevanten Benchmarks für existenzsichernde Löhne in einer bestimmten Region ausfällt.
Hier finden Sie Living Income und Living Wage Benchmarks. Sollte es für Ihre Projektregion/Land noch keine Benchmark geben, dann kontaktieren Sie uns gerne bzw. finden hier weitere Empfehlungen für den Fall, dass für Ihre Projektregion keine Benchmark vorhanden ist weitere Empfehlungen für den Fall, dass für Ihre Projektregion keine Benchmark vorhanden ist.
Verantwortungsvolle Einkaufspraktiken von Unternehmen, wie beispielweise eine entsprechende Preispolitik und langfristige Geschäftsbeziehungen, bilden eine wichtige Grundlage zur Erreichung von existenzsichernden Einkommen und Löhnen.
Ergänzend zur IDH Salary Matrix hat daher die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH das Living Wage Costing Tool entwickelt. Dieses bietet die Möglichkeit, basierend auf der tatsächlichen Lohnsituation und dem errechneten Living Wage Benchmark in verschiedenen Szenarien zu berechnen, wie die Lohnlücke geschlossen werden kann.
Im Bereich „Living Income“ ist der zu zahlende Preis für den verkauften Rohstoff von großer Relevanz. Bei dem sogenannten Living Income Referenzpreis handelt es sich um den Preis, den ein/e Kleinbauer/Kleinbäuerin für sein/ihr Produkt erhalten sollte, um anteilig mit Blick auf den gesamten Anbau sowie im Zusammenspiel mit weiteren Einkommensfaktoren, ein existenzsicherndes Einkommen zu erreichen. Es existieren verschiedene Methoden, um Referenzpreise für ein existenzsicherndes Einkommen zu berechnen. Diese unterscheiden sich je nach getroffenen Annahmen und Datenverfügbarkeiten. In diesem Practioner’s Guide werden diese unterschiedlichen Methoden übersichtlich dargestellt. Der „Living Income Reference Price Estimator“ der GIZ ermöglicht die Berechnung von Referenzpreisen anhand verschiedener Methoden und in verschiedenen Produktionsszenarien.
Wie effektiv die Beschaffungspraktiken entlang der landwirtschaftlichen Lieferkette von den Käufern über die Lieferanten bis zu den Erzeugern sind, zeigt diese Studie, die wir gemeinsam mit Inclsve und Fair & Sustainable mit Teilnehmern der Bananenlieferkette in Ecuador und der Kakaolieferkette in Ghana durchgeführt haben. Einen Überblick über die Empfehlungen für nachhaltige und verantwortungsvolle Beschaffungspraktiken, die aus der Studie hervorgehen, finden Sie hier.
Es gibt eine Vielzahl globaler Initiativen und Organisationen sowie eine Reihe privater Unternehmen, die sich für existenzsichernde Einkommen und Löhne in globalen landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten einsetzen.
Die Living Income Community of Practice ist eine internationale Arbeitsgruppe, die Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor sowie aus Zivilgesellschaft, standardsetzenden Organisationen und Wissenschaft zusammenbringt. Die GIZ hat die Arbeitsgruppe zusammen mit ISEAL Alliance und dem Sustainable Food Lab initiiert. Sie bietet neben regelmäßigen Austauschformaten viele Informationen, Wissen und erste Schritte zu dem Thema z.B. ein von der INA erarbeitetes Living Income Toolkit für Unternehmen zur schrittweisen Realisierung von existenzsichernden Einkommen in ihren Lieferketten. Die Arbeitsgruppe vereint über 2300 Interessierte aus verschiedensten Akteursgruppen und Ländern.
Das Living Income Toolkit für Regierungen richtet sich an politische Entscheidungsträger*innen, die Kleinbäuerinnen und -bauern unterstützen wollen, um die Lücke zwischen dem tatsächlichen Einkommen und einem existenzsichernden Einkommen in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten zu schließen. Das Dokument enthält Überlegungen und Anleitungen sowohl für die Politik der Produktions- als auch Konsumländer.
Die Global Living Wage Coalition (GLWC) ist eine einzigartige Wissens- und Aktionspartnerschaft, die gemeinsame Maßnahmen zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards für arbeitende Menschen und ihre Familien weltweit ermöglicht. Die GLWC ist als Partnerschaft zwischen zwei unabhängigen Netzwerken mit komplementären Aufgaben und Arbeiten organisiert: dem Anker Living Wage and Income Research Institute (Anker Research Institute) und dem GLWC Action Network (Action Network). Forscher*innen und Forschungseinrichtungen beteiligen sich am Anker Research Institute mit dem gemeinsamen Ziel, qualitativ hochwertige Forschung – insbesondere Living Income und Living Wage Benchmarks auf der Grundlage der Anker-Methodik – durchzuführen.
Das von der GIZ initiierte ALIGN-Guidance-Tool beinhaltet eine interaktive Weltkarte mit Informationen zur Rohstoffproduktion, Lohnstrukturen und Einkommenssituation in verschiedenen Ländern und bietet einen Leitfaden für Unternehmen zur Umsetzung von existenzsichernden Einkommen und Löhnen in ihren Lieferketten.
Neben den in der AG des deutschen Einzelhandels aktiven Mitgliedern, sind weitere Beispiele für Unternehmen, die eine Living Income/Living Wage Strategie verfolgen: Tony’s Chocolonely, GEPA, Mars, IKEA, Nestlé und Unilever. Außerdem befassen sich standardsetzende Organisationen wie Fairtrade und Rainforest Alliance explizit mit den Konzepten.
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Wenn Sie sich für die Konzepte Living Income und Living Wages interessieren, wenden Sie sich gerne an nina.kuppetz@giz.de.