16. Oktober 2024

Stakeholder-Meeting der neuen SASI: Mehr als die Summe ihrer Teile

120 Menschen in einem Raum für zwei Tage: Das jährliche Treffen wichtiger Player zu den globalen Agrarlieferketten in Berlin bildet diesmal nicht nur den Startschuss von SASI – das Meeting von Unternehmen, Zivilgesellschaft und Politik ist ein enges Beieinander zur Stärkung nachhaltigen Tuns. Chronologie einer zweitägigen Operation am offenen Herzen des globalen Agrar- und Ernährungssystems.

Ein Artikel von Jan Rübel

Mit weißer Kreide auf schwarzem Tafelgrund kündigt das Berliner tak-Theater auf dem Bürgersteig die einzige Vorstellung der kommenden beiden Tage an. Wenige Minuten vor Beginn eilen Dutzende Darstellerinnen und Darsteller am Aufsteller vorbei zum Eingang – hin zu einem besonderen Stück. Keine Texte aber werden sie rezitieren, sondern einer Frage auf den Grund gehen: Wie können globale Agrarlieferketten nachhaltiger aufgestellt werden, zum Nutzen Aller? „Wir stehen in einem Paradigmen-Wechsel“, sagt drinnen eine Frau auf der Bühne. „Es ist nicht mehr die Frage, ob man es lebt, sondern wie“, sagt Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit Blick auf die andauernde Transition der weltweiten Agrar- und Ernährungssysteme und ihrer Lieferketten. „Alle Stakeholder sind zusammenzubringen, um für ihre Umsetzung zu kooperieren.“

Der Saal hier bildet im Klitzekleinen die ganze Welt ab. 120 Leute, aus der Wirtschaft und Wissenschaft, aus Zivilgesellschaft und Politik – sie werden in diesen beiden Tagen Herausforderungen und Best Practices ausloten, gesetzliche Notwendigkeiten und ihre Wirkung. Sie tauschen Erfahrungen aus ihrer Arbeit an den Agrarlieferketten aus, bewerten den Status quo und wollen Wege für die Zukunft definieren: alles unterm Dach der neu gegründeten Sustainable Agricultural Supply Chains Initiative (SASI), finanziert vom BMZ und realisiert von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Die Ausgangslage umreißt Paul Garaycochea in seinen einführenden Worten. „Globale Agrarlieferketten gestalten das Leben vieler Millionen Menschen“, so der Abteilungsleiter im BMZ. „700 Millionen leben in extremer Armut, Klimawandel und Entwaldung sorgen für Ernteverluste.“ Substanzielles Handeln für Nachhaltigkeit habe seine Kosten. „Aber Nichthandeln wird teurer werden.“ SASI würde einen flexiblen und umfassenden Werkzeugkasten für Partnerländer, Unternehmen und Produzenten bieten. „Dieser gründet sich auf den Erfahrungen und der Expertise bestehender GIZ-Projekte.“ Die Sonne scheint durch die bodentiefen Seitenfenster grell auf den Boden aus schwarzem Holz.

Über 150 solcher Projekte entlang der Lieferketten treibt die Initiative SASI weltweit voran, sie fördern nachhaltige Praktiken rund um Entwaldung, Regulierung, Geschlechtergerechtigkeit, Living Income und Digitalisierung – alles Grundpfeiler, die das Meeting hier ausleuchten wird. Die neue Plattform bündelt drei bisherige BMZ-Vorhaben: Die Initiative für nachhaltige Agrarlieferketten (INA), das Globalvorhaben Nachhaltigkeit und Wertschöpfung in Agrarlieferketten (AgriChains) und den Fonds zur Förderung von Innovationen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft (i4Ag). Gemeinsames Ziel: Synergieeffekte erzielen und die Arbeit weiterentwickeln; eine Vereinigung, um mehr als die Summe ihrer Teile zu sein. 

Im rechteckigen Saal erzeugen zwei leuchtende Leinwände an seinen Enden ein Spannungsfeld. Dazwischen 14 Tische à sieben Plätze und ein paar Stuhlreihen an der Seite, alles eng beieinander, so dass man nicht umhinkann, sich kennenzulernen – beispielsweise beim Themenblock „Sharing Experiences“, bei dem die 120 Teilnehmenden zwischen sechs Anlaufpunkten hin und her wandern, an denen konkrete Lessons Learned diskutiert werden. „Zugang zu Finanzen ist die Hauptherausforderung für Kleinbäuerinnen“, sagt etwa Chrissa Marey Borja, Programmleiterin bei Grow Asia, über ein Projekt zur Stärkung von Frauen in indonesischen Kakaolieferketten. „Wir gehen von Tür zu Tür, um Frauen über Marktzugänge und klimataugliche Techniken aufzuklären.“ Oder Beatriz van Daim von Tradin Organic, sie stellt ein neues Navigier-Tool für Due Diligence vor. „Mit unseren gesammelten Daten erkennt man, welche Bauern riskieren, Bedingungen neuer Handelsregelungen nicht zu erfüllen.“ Und da ist Sarah MacKay von Producers Direct, sie stellt ein KI-Tool vor: „Bauern laden ein Foto ihrer Anbaufrucht hoch, die KI zählt die Früchte – dann schickt sie Vorhersagen und Tipps.“

Chrissa Borja

Chrissa Borja

In einer kurzen Kaffeepause lehnt sich Chrissa Borja an eine Säule. Die Filipina checkt kurz ihr Smartphone. Wie findet sie bisher das Meeting?

Chrissa Borja: Es ist sehr interessant zu sehen, wie in anderen Weltregionen zu besseren Lieferketten gearbeitet wird. Gerade traf ich ein paar Teilnehmer aus afrikanischen Ländern – ihre Ansätze ähneln dem, was wir in Südostasien machen. Dieses Treffen bietet eine wertvolle Gelegenheit für den globalen Süden, Wissen auszutauschen und voneinander zu lernen.

Und was halten Sie von den hier diskutierten Richtlinien, die in Europa entstehen?

Das sind Chancen und Herausforderungen zugleich. Da wir vor allem mit Kleinbauern arbeiten, halte ich es für besonders wichtig, dass sie einen besseren Zugang zu jenen Informationen erhalten, die zur Erfüllung dieser neuen Normen erforderlich sind.

Werden die gerade alleingelassen?

Das Problem ist nicht ein Mangel an Informationen, sondern die Verbesserung des Zugangs der Kleinbauern zu diesen Informationen. Die Landwirte suchen in der Regel nicht online nach Schulungen, daher sind Vermittler und lokale Organisationen wichtig, um diese Lücke zu schließen. Der Bedarf an diesen Leitlinien ist nicht neu - er war gestern schon dringend und ist auch heute noch wichtig.

Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?

Er kam vielmehr zu mir. Ich komme ursprünglich aus der Umweltplanung. Aber es faszinierte mich, dann mehr in die Umsetzung von Planungen zu gehen.

Zwei Prozesse aus der Politik umrahmen das Berliner Stakeholder-Meeting: Da ist zum einen die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten (EUDR), welche in diesem Oktober um ein Jahr verschoben wurde. Und da ist zum anderen die EU-Lieferkettenrichtlinie mit beschlossenen Sorgfaltspflichten – beides machtvolle Instrumente, „EUDR ist ein Gamechanger-Tool“, sagt Indra Van Gisbergen beim Panel über die von Deutschland angestoßene Team Europe Initiative, welche Partnerländer bei der Transition hin zu entwaldungsfreien Lieferketten unterstützt. „Die Verschiebung der EUDR geht auf Kosten der Wälder und ist eine schlechte Nachricht für Bauern und indigene Völker“, kritisiert die Forest Governance Campaignerin von Fern. Simon Gmeiner von der EU-Kommission entgegnet: „Wir stehen zu den Zielen der EUDR. Wir wollen den Stakeholdern nur mehr Zeit geben.“ Man sei in einem entscheidenden Moment. „Das ist keine Verlangsamung. Es geht jetzt darum, die Bemühungen zu forcieren.“ Ähnlich formuliert es Lisa Kirfel-Rühle vom BMZ: „Man muss jetzt nicht ein Jahr lang warten, sondern kann schon jetzt loslegen“, sagt die stellvertretende Referatsleiterin mit Blick auf den Privatsektor. Und Hamad Mota Kalaf, Diplomat von der brasilianischen Botschaft in Deutschland: „Wir begrüßen die Verschiebung. Das wichtige Ziel der Entwaldung sollte im Dialog mit Partnerländern geschehen, um die Operationalität zu gewährleisten.“

Indra Van Gisbergen

Indra Van Gisbergen

Draußen scheint eine sich rötende Sonne noch warm gegen den Herbst an. Indra Van Gisbergen schnappt kurz frische Luft.

Was wurde heute beim Meeting aus Ihrer Sicht nicht angesprochen?

Indra Van Gisbergen: Die Diskussion über die konkreten Voraussetzungen für wirksame Partnerschaften mit den Erzeugerländern hätte etwas ausführlicher sein können. Das Engagement für wirksame Partnerschaften erfordert einen umfassenden Ansatz, der ein starkes politisches Engagement auf beiden Seiten einschließt, um die Ursachen der Entwaldung zu bekämpfen und heikle Themen wie Korruption und den schrumpfenden zivilgesellschaftlichen Raum anzugehen, sowie Klarheit über wirtschaftliche Anreize für die Erzeugerländer. Die EU hat vor kurzem einen Strategierahmen für die internationale Zusammenarbeit zur Unterstützung der Europäischen Entwaldungsverordnung, einer neuen Leitvorschrift, vorgelegt. Leider ist der strategische Rahmen nicht ausreichend auf wirksame Partnerschaften zwischen der EU und den Erzeugerländern ausgerichtet. Wir haben darüber diskutiert, wie diese wichtige Lücke geschlossen werden kann und was Deutschland und SASI tun können, um Raum für Multi-Stakeholder-Dialoge zu schaffen, die ein wesentlicher Bestandteil effektiver Partnerschaften sind.

Denken die Europäer zu wenig über ihre eigene Rolle in den Lieferketten nach?

Europa hinterlässt nach wie vor einen enormen Fußabdruck auf den Wäldern der Welt, durch Produkte wie Schokolade und Kaffee, die mit Abholzung belastet sind und die wir jeden Tag in unserem Supermarkt kaufen. Die EUDR will sicherstellen, dass auf unseren Märkten Produkte angeboten werden, die frei von Abholzung sind. Es ist äußerst enttäuschend, dass die Umsetzung der EUDR um ein Jahr verschoben wird. Der Klimawandel ist real, und jeder muss jetzt dringend handeln. In dieser Übergangsphase ist ein Wandel bei vielen Akteuren, einschließlich der Verbraucher in Europa, erforderlich. Es muss mehr Raum für den Dialog geben und auch den Kleinbauern mehr Gehör geschenkt werden, die ein angemessenes Einkommen und einen fairen Preis für die von ihnen erzeugten Produkte haben wollen. In dieser Hinsicht können wir als Schokoladenesser und Kaffeetrinker unsere täglichen Gewohnheiten überdenken und über unsere Art zu konsumieren nachdenken, die Auswirkungen auf die Wälder und die Menschen hat.

Die Tische im Saal schmücken kleine Glasvasen, in ihnen stecken aber keine Blumen, sondern Minze, Petersilie und Dill. Alles wirkt auf Funktionalität hin ausgerichtet. Auf einer von vielen verschiedenen grünen DIN-A6-Karte an der Wand steht geschrieben: „Glaubst du, Bauern haben auf diesem Event die beste ‚Feld‘-Erfahrung?“ Im Zentrum der SASI-Arbeit jedenfalls stehe die Kooperation mit ihnen, sagt Florian Reil von der GIZ, als er auf dem Podium das SASI Business Development Team vorstellt, „und auch mit allen anderen Stakeholdern“. Mit der neuen SASI-Plattform könne man nun systematischer analysieren, welche der über 150 Projekte skaliert werden sollten. Charlotte Haeusler Vargas vom Team ergänzt mit einem Appell: „Wenn Sie skalieren wollen, aber sich fragen, wie das gehen soll – wenden Sie sich an uns!“

Das Stakeholder-Meeting ist thematisch zweigeteilt. Der erste Tag gilt den Projekten entlang der Agrarlieferketten, dem Status quo. Der zweite dagegen widmet sich den Neubeginnen und der Transition, und schon ist man an seinem frühen Morgen mitten in einer Panel-Debatte über die Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie. „Wird der Finanzsektor in einer aktualisierten Version auch eingegliedert?“, heißt eine Frage von den Tischen. „Die Kommission will sich das weiter anschauen“, antwortet GIZ-Berater Peter Moehringer. „Früher oder später wird er dazukommen.“ Doch wie einigen sich Käufer, Händler und Produzenten auf mehr Nachhaltigkeit? „Die Richtlinie ist ein Dach“, sagt Daniel Schönfelder, „und Verträge können darunter einen Boden bilden“. Der Lead European Legal Advisor an der renommierten Rutgers Law School warnt davor, dass einkaufende Unternehmen über vertragliche Ausstiegsklauseln bei Menschenrechtsverletzungen allzu rasch einen Handel beenden. „Aber auch der Käufer hat Verantwortung.“ Es gebe keine Verpflichtung zur Perfektion, sondern zur kontinuierlichen Verbesserung. Aus dem Saal kommt die Frage, wie man bei Vertragsverhandlungen die konkreten Zahlen zu Produktionskosten herausfinde. „Man braucht langfristige Verträge“, antwortet Schönfelder. „Dann öffnen sie auch ihre Kostenbücher.“ Es sei indes schwierig, schiebt er nach, die Kosten zu erhöhen, wenn der Preis hoch sei.

Daniel Schönfelder

Daniel Schönfelder

Beim Lunch löst er sich aus einer Kleingruppe. Daniel Schönfelder ist Jurist, wie ist seine Sichtweise auf die Herausforderungen, wenn es um nachhaltige Agrarlieferketten geht?

Daniel Schönfelder: Man sieht, wie weit manche Firmen schon gekommen sind. Bei Agrar und Textil haben sich viele Unternehmen mit wichtigen Themen wie Living Income und Purchasing Practise auseinandersetzt. Das Kunststück besteht darin, sowas zu pilotieren und die tollen Ideen von heute auf andere Branchen auszuweiten. Trucking zum Beispiel kann man menschenrechtlich als das neue Textil bezeichnen: Niedriglohnsektor, erhöhte Risiken und oftmals keine verantwortungsvollen Einkaufspraktiken, so dass der Druck an die Schwächsten, die Trucker weitergegeben wird. Die Branche könnte viel von den Erfahrungen der Textiler lernen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Firmen gemacht?

Es gibt diese Illusion, dass es gute und schlechte Unternehmen gebe – als ginge es darum, bei den Lieferketten nur die bösen Supplier zu finden. Aber in Wirklichkeit ist die Mehrheit grau, und die gehört aufgehellt. Einfache Lösungen gibt es da nicht, sondern nur schrittweise Verbesserung, basierend auf Vertrauen, Transparenz und gemeinsamer Verantwortung.

Was raten Sie denn Ihren Kunden?

Dass es nicht einen Hammer und einen Nagel gibt. Menschenrechtliche Maßnahmen müssen immer an der konkreten Situation ansetzen, Standardlösungen, wie etwa one-size fits all questionnaires, die Bananen wie T-Shirts behandeln, schaffen Bürokratie, aber kaum informatorischen Mehrwert - es braucht Anpassungen auf die konkreten Risikoszenarien der betreffenden Lieferkette, es braucht Dialogbereitschaft und gemeinsames Arbeiten an Lösungen. Und manchmal ist der Nagel krumm, der muss erst gerichtet werden – und zwar durch schrittweise Verbesserung im Dialog. Deutschland lebt vom Export und muss als guter Partner wahrgenommen werden. Wenn wir aber keine Chancengerechtigkeit herstellen, kann unser Konzept langfristig nicht mehr aufgehen.

Klar, höhere Löhne erhöhen die Produktionskosten. Wie sich dies zu einem Nutzen für Alle entwickeln kann, umreißt das neue Handbuch der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über Due Diligence zur Ermöglichung existenzsichernder Löhne, es wird auf dem Stakeholder-Meeting offiziell präsentiert; rund 700 Leute haben sich für diesen Event zusätzlich online dazugeschaltet. „Dieses Menschenrecht ist eine Vorbedingung zum Realisieren weiterer Menschenrechte,“ kommentiert Kofler, die Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, die Living Wages. „Nun lässt sich einsehen, wie man praktisch zu besseren existenzsichernden Löhnen kommt“, sagt sie über das Buch. „Es gibt die Richtung vor.“ Neben ihr steht Allan Jorgensen, „es ist ein großer Moment, hier zu sein“, sagt der Leiter des Centre for Responsible Business Conduct der OECD. „Globale Lieferketten sind ein Teil der Lösung für Lohnprobleme.“ Doch wie sieht das konkret aus? Auf dem Podium meldet sich Katharina Wortmann, Group Director bei Aldi Süd, zu Wort. „Es ist eine Reise“, umreißt sie die Bemühungen ihres Unternehmens, bessere Löhne für die Bäuerinnen und Bauern zu erzielen. „Wir können es nicht allein machen, oft nehmen wir nur zehn Prozent der auf einer Farm realisierten Ernte ab.“ Sie sehe aber bei Käufern einen guten Wandel.

Torben Erbrath

Torben Erbrath

Einer, der sich in der Geschäftswelt gut auskennt, ist Torben Erbrath. Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. arbeitet seit Jahren zu Nachhaltigkeit bei Kakao. Welche Eindrücke nimmt er vom Meeting mit?

Torben Erbrath: Das ist schon ein starker Austausch hier, gerade mit diesen unterschiedlichen Playern. Keiner bleibt in seiner Blase.

Sind Sie heute auf etwas Neues gestoßen?

Nun, die große Anzahl an Projekten, die SASI realisiert, war mir nicht bewusst. Ich engagiere mich im Kakaobereich – da ist es spannend, von Erfahrungen in der Kaffeebranche zu lernen.

Es wird hier viel von einer Reise zur Nachhaltigkeit gesprochen. Sind wir auf dem richtigen Weg?

Ich denke schon. Nur ist er länger, als sich manche vorstellen. Und es bräuchte mehr Tempo.

Wo sehen Sie die globalen Lieferketten in fünf Jahren?

Das hängt auch davon ab, was Länder wie China und Indien machen. Lieferketten könnten sich komplett neu organisieren und dann aus dem Süden nicht mehr den Norden beliefern, sondern nach China gehen.

Befürchten Sie, dass das deutsche Lieferkettengesetz oder die EU-Richtlinie diesen Trend bestärken werden?

Sie werden sicherlich nicht die Hauptreiber sein, aber durchaus Einfluss auf Verfügbarkeiten haben. Stärker wirken aber Zollmauern oder Wirtschaftsabkommen.

Wie sich die Beziehungen zwischen Käufern und Produzenten im Schatten des Wettbewerbs gestalten, beleuchtet schließlich Rainer Lademann in seinem Vortrag aus wissenschaftlicher Perspektive. „Es gibt Abhängigkeiten für Produzenten vom Käufer“, sagt der Honorarprofessor an der Universität Göttingen. „Letzterer hat bessere Outside-Options.“ Aber wie steigert man den Anteil der Produzenten am Endpreis? Jedenfalls sieht Lademann auch andere Faktoren für gewinnbringendes Handeln: „Firmengewinne steigen, wenn sie eine starke Marketingstrategie betreiben. Das ist nicht unbedingt eine Frage der Firmengröße.“

Rainer Lademann

Rainer Lademann

Nach seinem Vortrag umringen ihn Zuhörer mit Fragen. Dann holt er sich ein Glas Wasser.

Wie weit sind wir bei der Gestaltung nachhaltiger Agrarlieferketten?

Rainer Lademann: Mit Sicherheit haben wir das Stadium der Bewusstseinsbildung erreicht, das ist doch schon mal was. Ich nehme bei wesentlichen Akteuren generell einen Mitwirkungswillen wahr.

Wo hapert es denn?

Da würde ich gar nicht bei den Lieferketten anfangen, sondern beim Bedarf. Solange Märkte gesättigt sind, bleiben die Preise unter Druck. Da hat sich ein Teufelskreis aus Mehrverbrauch durch niedrigere Preise und Ausweitung der Anbauflächen entwickelt – mit den Problemen für unseren Planeten wie dem der Entwaldung. 

Sie sprachen in Ihrem Vortrag von der Idee, dass starke Rohstoffproduzenten etwa von Kaffee und Kakao eine Art OPEC einführen, um die Preise für sie besser zu gestalten…

Ein solches Vorgehen würde mich nicht überraschen - nach so vielen Versuchen, die Preise zu stabilisieren. Es wäre kein freundlicher Ansatz, kreativ ist er auch nicht und das genaue Gegenteil von Wettbewerb. Aber wenn es nicht anders geht, und auch die Entwaldungen weitergehen würden, wird über sowas nachgedacht werden.

Es ist früher Nachmittag, als es zum Ende nochmal grundsätzlich und verinnerlichend wird. Antonie Fountain entscheidet sich für seinen Impuls nicht für eine der beiden Bühnen an den Enden, sondern geht in die Mitte des Raums. „Die meisten von uns begannen, für nachhaltige Ketten zu arbeiten, um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen“, sagt er zu den um ihn herum Versammelten. Fountain ist Mitgründer und Geschäftsführer des Voice Network, einer globalen Allianz von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften zur nachhaltigen Gestaltung der Kakaolieferketten. „Es ist eine lange Reise voller Enttäuschungen.“ Hoffnung sei da nicht leicht. Fountain aber nimmt sie mit auf eine andere Reise: Er skizziert zuerst die Fortschritte der Menschheit, die Reduzierung des Anteils jener Menschen unter der Armutsgrenze seit 200 Jahren, die gesunkene Kindersterblichkeit oder den Fakt, dass Menschenrechte und Umweltschutz mittlerweile zusammengedacht werden, den allgemein geschärften Blick für Good Governance. Dem stellt er negativ die steigenden globalen Temperaturen und die abnehmenden Wälder gegenüber. „Wir sind in Schwierigkeiten. Es muss uns klar sein, dass die Welt um uns herum brennt.“ Was also tun? Am Ende gibt er dafür fünf Worte mit, die helfen würden: „Reguliert, transparent, kollaborativ, professionell und entkommodifiziert – wir müssen nur fünf Dinge machen! Wir können das!“ Seine letzten Sätze spiegeln dann am Ende des Meetings, was im Grunde auch Staatssekretärin Kofler und viele andere in diesen beiden Tagen sagten, was sich wie ein roter Faden durch die Gespräche zog: „Die einzige Konstante ist die Veränderung. Die Frage lautet: Wie ändern wir es?“